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KEIM E+H Nr. 1: Farbe als Gestaltungsmittel im Schaffen von Bruno Taut

» Alles, was auf der

» Alles, was auf der Welt ist, muss irgendeine Farbe haben. Die ganze Natur ist farbig, und selbst das Grau des Staubes, des Rußes, selbst die düsteren melancholischen Gegenden haben immer eine bestimmte Art von Farbe.« Hohe Qualität und tragbare Kosten erhalten & gestalten 4 Bruno Tauts Wohnanlage erhält den Bauherrenpreis – über 70 Jahre nach der Erbauung. Einfacher und kostenbewusster Wohnungsbau war schon zu Tauts Zeiten die oberste Maßgabe. Während dieses Kriterium in vielen Fällen monotone Gebäudefronten hervorbrachte, widmete sich Taut mit Akribie der Dynamisierung, der Individualisierung und Gliederung der »Mauermassen«. So sind die ausgeprägte Rhythmisierung der Fensteröffnungen, die Anordnung der Loggien, Erker und Balkone – neben der Farbe – charakteristisch für Tauts Bauten. Auch die Wohnanlage an der Paul-Heyse-Straße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zeigt diese differenzierte, bewegte Fassadenausformung. So sind Treppenhauszonen zurückgesetzt und von schwungvollen, plastisch herausgearbeiteten Balkonen begleitet. Diese Dreidimensionalität kontrastiert stark mit den flächigen Fassadenzonen der sich anschließenden Gebäudeteile. Zusätzlich betont Taut diese Bereiche farbig: Während die Fassaden und die Außenflächen der Balkone weiß sind, hält er die Rückwände der Balkone in tiefem Blau, das sich zum Treppenhaus hinüberzieht und nach oben in die blaue Drempelzone übergeht. Der vertikale Streifen mit den Treppenhausfenstern trägt einen rotbraunen Anstrich, die Fenster selbst sind in der bekannten Manier farbiger Sprossen akzentuiert. Mit der blauen Drempelzone und der dunkelgrau gefassten Dachuntersicht reduziert Taut die Höhe der vier- bis fünfgeschossigen Anlage optisch – ohne die Bedeutung des Dachbereichs zu negieren. Klinker an den Brüstungen der Balkone und den Gesimsen der Fenster kontrastieren stark mit der weißen Putzfläche; Fensterleibungen faßt Taut gelb ein. Die Wohnanlage aus insgesamt 122 Einheiten besteht mehrheitlich aus Zwei-Zimmer-Wohnungen mit einfachen Grundrissen, Balkonen und Kammern. Mit der Anlage weicht Taut von der üblichen Blockrandbebauung ab und wählt einen H-förmigen Grundriss. Zwischen den beiden Flügeln entlang der Paul-Heyse-Straße und der Heinz-Bartsch-Straße legt Taut den Querflügel, setzt ihn allerdings von der Flucht der Fürstenberg-Straße deutlich zurück. So entsteht hier ein geräumiger, abgesenkter und begrünter Hof – ein deutlicher Qualitätsgewinn für die Bewohner. Auf der anderen Seite des Querflügels ergibt sich anschließend an die bestehende Bebauung ein kleiner Innenhof mit Balkonen. Zur besseren Belichtung der unten liegenden Balkone lässt Taut Böden und Brüstungen mit Glasbausteinen ausführen – exemplarisch hat man dies heute an einer Balkonreihe wiederhergestellt. Die Höfe stehen für Intimität und Kontakt, für Natur in der Stadt, für eine gute Durchlüftung und Belichtung der Wohnungen. 1926 bis 1927 erbaut, hinterließen die Jahrzehnte ihre Spuren: »Die Anlage befand sich in einem ziemlich maroden Zustand«, so Winfried Brenne. Im Rahmen der Sanierung mussten unter anderem stark veränderte Bereiche wie Balkonüberdachungen oder Badfenster rückgebaut werden – dafür konnten beispielsweise die alten Kastenfenster weitgehend erhalten werden. Wesentlicher Bestandteil der Sanierung war die Wiederherstellung der ursprünglichen Farbigkeit, die Grundlage dafür liefert ein umfassender denkmalpflegerischer Befund für Fassaden und Treppenhäuser. Gerade dort entfaltet sich eine überraschend große Farbenvielfalt. Bis zu zehn, mitunter stark gesättigte Farben verleihen den Treppenaufgängen individuelle Anmutungen. Sockel, Decken, Handläufe, Beistriche zwischen Sockel und Wandflächen – alle Zonen und Elemente tragen unterschiedliche Töne, wobei diese Polychromie stets in einem harmonischen Gesamtbild mündet. Analog zu den Fassaden stellte man während der Sanierung in den Jahren 1995 bis 1997 auch die Aufgänge originalgetreu wieder her – eine Herausforderung für Planer und Ausführende. Doch die Mühen haben sich gelohnt. So erhielt der Prenzlauer Berg ein weiteres Taut-Ensemble in seiner Ursprünglichkeit zurück – und die Eigentümergesellschaft GSW den »Bauherrenpreis 1999/2000«. Ausgelobt vom Bund Deutscher Architekten, dem Deutschen Städtetag und dem Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmer, prämierte die Jury unter 477 Einreichungen aus ganz Deutschland gerade zehn Objekte, deren Modernisierung dem Anspruch »Hohe Qualität – Tragbare Kosten« genügen. Eine erfreuliche Sache, widerspricht diese Auszeichnung doch all jenen Zeitgenossen, die originalgetreue Wiederherstellungen rigoros als finanziell unwägbare Abenteuer brandmarken.

Die ausgeprägte Rhythmisierung der Fassaden mit dem Gestaltungsmittel Farbe ist charakteristisch für Bruno Tauts Stil. Gelb eingefasste Fensterleibungen und Klinker an den Brüstungen der Balkone setzen gestalterische Akzente. erhalten & gestalten 5

ERHALTEN UND GESTALTEN