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KEIM E+H Nr. 13: Chancen für den Wohnungsbau der 50er- bis 70er-Jahre

Abriss

Abriss oder Sanierung? Häufigere Mieterwechsel, schrumpfende Regionen und kleinere Familien, soziale Veränderungen – wer heute Wohngebäude bedarfsgerecht und zukunftssicher sanieren will, muss all dies beachten. Darüber sprachen wir mit dem Architekten Wolfgang Kamieth und der Farbgestalterin Annette Kamieth-Flöer aus Mülheim/Ruhr. erhalten & gestalten Der Architekt und die Farbgestalterin: Wolfgang Kamieth und Annette Kamieth-Flöer aus Mülheim. Angenommen ich wäre Eigentümer eines Wohnblocks aus den 1960er-Jahren. Was empfehlen Sie – Abriss oder Sanierung? So generell kann man das nicht sagen, das kommt auf den Einzelfall und die Substanz des Gebäudes an. Bei vielen Bestandsbauten lässt sich eine Kernsanierung wirtschaftlich darstellen. Mitunter kommt aber auch mal ein Abriss infrage. Wann wäre das der Fall? Nun, wenn die Bausubstanz so schlecht ist, dass die Kernsanierung einem Neubau gleich kommt. Und wenn durch die Sanierung plötzlich neue Anforderungen zum Tragen kommen. Etwa, wenn die Erdbebengefährdung einer Region hochgestuft oder Brandschutzauflagen verschärft wurden. Auch die lokale demografische Entwicklung spielt hier herein. In schrumpfenden Städten kommt es zu einem dauerhaften Überangebot an Wohnungen, die nicht mehr kostendeckend vermietet werden können. Dann sollte man durchaus über Abriss oder Rückbau, wie man auch sagt, nachdenken. Im Osten Deutschlands wird das ja bereits ausgiebig praktiziert – und hier im Ruhrgebiet gibt es erste Beispiele aus der Wohnungswirtschaft für diese Tendenzen. Was bedeutet das für die Wohnungsgesellschaften? Die müssen sich umstellen. In einem Mietermarkt entbrennt der Wettbewerb um den zahlenden Wohungsnutzer. Das heißt, dass die Anbieter künftig mehr bieten müssen. Also mehr Service, mehr Ausstattung, ein aufgewertetes Wohnumfeld und geringere Nebenkosten. Und natürlich muss man die Mieter länger binden. Die Verbleibdauer ist teilweise drastisch zurückgegangen: Städtische Gesellschaften freuen sich hier, wenn die Mieter fünf Jahre bleiben. Wenn Sie bedenken, dass nach jedem Auszug in der Regel eine Renovierung ansteht, entstehen enorme Kosten. Wie begegnet man diesem Trend? Wir haben für eine Wohnungsgesellschaft einen Ausstattungskatalog entwickelt. Der Neumieter kann vor seinem Einzug verschiedene Ausstattungs merkmale aus einem Standardangebot wählen, etwa Fliesen oder Armaturen. Greift er über den Standard hinaus, so wird ihm die Preisdifferenz in Rechnung gestellt. Das ist meines Erachtens eine interessante Strategie, Mieter stärker an eine Wohnung zu binden. Kurz: Es wird seine Wohnung! Und das führt zu einem anderen Umgang mit der Wohnung insgesamt. Ein anderer Aspekt ist die Vereinfachung der Sanierungsabläufe durch diesen Standardkatalog. Die beteiligten Handwerker können rationeller arbeiten, was die Leerstandszeit verkürzt. Je früher die Mieteinnahmen wieder fließen, desto besser. Wohnungen aus den 1950er-Jahren sind eher klein. Ist das kein Problem heute? Jein. Waren vor einigen Jahren noch Flächen über 100 Quadratmeter stark nachgefragt, so geht es wieder in Richtung kleinerer Wohneinheiten – zumindest in unserer Region. Da spielen die familiären Verhältnisse, die Größe junger Familien, die Zunahme von Single-Haushalten in den Städten und auch die soziale Situation zentrale Rollen – Stichwort Hartz IV. Die Altersstruktur wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern. Haben Sie und Ihre Kunden das im Blick? Soweit es technisch möglich ist, beseitigen wir schon heute Barrieren. Oft aber stößt man an wirtschaftliche Grenzen, besonders wenn der Wohnraum preisgünstig vermietbar sein soll. Das betrifft nicht nur außen angebaute Aufzüge, auch Türverbreiterungen sind nur dann möglich, wenn die Statik problemlos mitmacht. Bodengleiche Duschen sehen wir mindestens im Erdgeschoss vor, die lassen sich gut unterhalb der Kellerdecke entwässern. Letztlich geht es nicht um normgerechte Barrierefreiheit, sondern um barriere armes Sanieren. Übrigens fließen diese Erfahrungen auch in unsere Neubauplanungen ein. Gibt es da seitens der Wohnungsgesellschaften Unterschiede? Natürlich. Investoren, die sich gerade in den letzten Jahren verstärkt für den Immobilienmarkt in Deutschland 12

Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung in Deutschland 1999 – 2009 114 112 110 108 106 104 102 100 Haushalte Bevölkerung 1991 1993 1995 Quelle: Statistisches Bundesamt 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 Entwicklung der Wohn - flächen nach frage ins gesamt 2010 bis 2025 in % –10 bis unter –5 –5 bis unter 0 0 bis unter 5 5 bis unter 10 10 bis unter 15 Datenbasis: BBSR-Wohnungsmarktprognose 2025 Geometrische Grundlagen: BKG, Raumordnungs regionen, Stand 31.12.2006 Kiel Hamburg Schwerin Bremen Berlin Hannover Potsdam Magdeburg Düsseldorf Erfurt Wiesbaden Mainz Saarbrücken Stuttgart München 100 km Dresden © BBR Bonn 2009 interessieren, erwarten von ihren Immobilien eine hohe Rendite von acht bis zehn Prozent. Das ist natürlich eine Herausforderung, die nicht immer gut geht und häufig zu negativen Entwicklungen innerhalb des Bestands, etwa zu reduzierter Instandhaltung, führt. Genossenschaftliche Unternehmen gehen ganz anders vor. Sie kalkulieren mit einer geringeren Rendite, die dann aber in der Regel reinvestiert wird. Entsprechend zielt der Sanierungsansatz viel stärker auf Nachhaltigkeit, Substanzerhalt sowie Qualitäts verbesserung. Der Refinanzierungsdruck ist gering, weil meist hohe eigene Mittel zum Einsatz kommen. Städtische Wohnungsunternehmen wiederum bevorzugen einfachere Sanierungen, weil ihre Mieter bisher häufig mit Berechtigungsschein kommen, also nur mit geringen Einnahmen zu rechnen ist. Doch die Klientel verändert sich. Die Ansprüche der Mieterschaft an eine gut ausgestattete Immobilie steigen, im Rahmen der Konkurrenz wird dies mehr und mehr erfüllt. Bei der Siedlung in Mülheim-Heißen überarbeitete man ein vorhandenes, aber heutigen Anforderungen nicht mehr genügendes Dämmsystem mit einem neuen WDVS. Aufdoppelung nennt sich dieses Prinzip. Wolfgang Kamieth ist Architekt BDA und dwb. Sein Büro in Mülheim/Ruhr widmet sich unter anderem der Sanierung von Wohnbauten von den 20er- bis 70er-Jahren, darunter Siedlungs bauten und Einfamilienhäuser. Annette Kamieth-Flöer ist Farbgestalterin BEF und entwickelt für viele Sanierungsobjekte neue Farbkonzepte für außen und innen sowie Farbleitpläne für Groß modernisierungen und denkmalgeschützte Siedlungen. www.architekt-kamieth.de www.farboffice.de erhalten & gestalten 13

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