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KEIM E+H Nr. 8: Lutherstadt Eisleben - zwischen gestern, heute und morgen

erhalten & gestalten 4

erhalten & gestalten 4 Die Ablesbarkeit der Parzellenstruktur spielt eine wichtige Rolle für die Farbleitplanung und die Fassadengestaltung. Farbe als Identitätsklammer Besonders in der Vergangenheit ist die Farbe Ausdruck regionaler Eigenheit. Vielfach zeugt die gewachsene Farbigkeit von nahe verfügbaren Material- oder Pigmentvorkommen, von der Nähe zu Handelswegen. Vor allem jedoch spiegeln die Fassaden die wirtschaftliche Potenz einer Stadt wider. Farbe bildet die Klammer um ein Gemeinwesen, das heute angesichts globaler Vernetzungen endgültig zu zerbrechen droht. Insofern trägt das Stadtbild wesentlich zur Identität einer Kommune bei, schafft lokale Bezugspunkte und damit so etwas wie Heimat. Allerdings gelingt dies nur, wenn die Farbigkeit auf dem Genius loci basiert, also die spezifischen Verhältnisse vor Ort aufnimmt und visualisiert. Farbleitpläne, idealerweise in städtebaulichen Rahmenplänen verankert, sind alles andere als willkürliche Ansammlungen einzelner Farbtöne und damit auch keine Frage von subjektivem Schönheitsempfinden. Vielmehr geht es um das Kollektiv, aus dem sich eine Kommune formt und in dem sie sich wieder abbildet. Daher müssen die Partikularinteressen einzelner Bauherren in einigen Punkten zurücktreten. Das ist übrigens keine Erfindung der Gegenwart, sondern wurde schon immer so praktiziert, ohne formell fixiert zu sein. Weil über Jahrhunderte nur wenige Baustoffe zur Verfügung standen, war die visuelle Einheit in der Vergangenheit auch nie wirklich gefährdet – erst die industrielle Beschichtungs- und Pigmenttechnik schuf neue Tatsachen. Noch nie waren so viele Farben verfügbar wie heute. Doch gerade die Vielfalt birgt auch das Risiko der beliebigen Verwendung und des Verlustes regionalen Kolorits. Steuerungsinstrumente Farbleitpläne dienen also der Konzentration auf bestimmte historisch-regionale Eigenheiten. Ihr Geltungsbereich ist räumlich meist begrenzt auf bedeutsame Ensembles oder Kernbereiche der Stadt. Die Leitpläne basieren auf ausführlichen Analysen der Bausubstanz, der Stadtstruktur und detaillierten Befunden vormaliger Farbigkeit. Damit wird der Farbleitplan zum nachvollziehbaren Instrument kommunaler Entwicklungssteuerung. Farbleitpläne zeichnen sich durch die differenzierte und sehr detaillierte Fixierung von Farben aus. Damit unterscheiden sie sich von Ortsbildsatzungen, die meist nur vage und zudem wenig substanzielle Farbangaben machen. Gute Farbleitpläne verfügen zudem über eine gewisse Flexibilität im Detail und werden oft mit Beteiligung der Bürger erstellt bzw. verabschiedet. Weil ein Farbleitplan von seiner Umsetzung lebt, sollte die Kommune zum einen bei eigenen Immobilien Vorreiter sein und zum zweiten Anreize für privates Engagement schaffen. In der Lutherstadt Eisleben beispielsweise fördert die Stadt private Bauherren mit gezielten Finanzhilfen aus dem Topf des Programms Städtebaulicher Denkmalschutz. Damit kann die kommunale Planung die Sanierung noch gezielter unterstützen und steuern.

Detailreiche Aufarbeitung 1993, mit der Aufnahme in das Förderprogramm des Landes Sachsen-Anhalt, tritt denn auch die erste Gestaltungssatzung in Kraft. Diese wird 1997 überarbeitet und 1998 von der „Örtlichen Bauvorschrift über die besonderen Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen und Anlagen der Außenwerbung für die Innenstadt der Lutherstadt Eisleben“ abgelöst. Hinter dem sperrigen Titel verbirgt sich ein sehr detailliertes Regelwerk für die Gestaltung der Gebäudehüllen im Sanierungsgebiet. Hier finden sich zum Beispiel exakte Angaben über die Sockelausbildung: Maximal 0,6 Meter hoch sollen sie sein, sichtbar ausgebildet und glatt verputzt oder aus Sandsteinmauerwerk bestehend. Die Fassaden selbst sollen als kleinteilige Lochfassaden ausgeführt sein, für die Fenster werden 20 Farbtöne zur Auswahl gestellt, Sprossung und einheitliche Materialität sind obligat. Türen und Tore dürfen nur über einen reduzierten Glasanteil verfügen. Schmuckelemente an der Fassade sind maßvoll zu nutzen, die Flächen selbst glatt zu verputzen. Verkleidungen aus Holz, Klinker, Schiefer oder Metall sind verpönt. Dächer und Werbung Großen Wert legt die Satzung auch auf die Dachlandschaften – nicht ohne Grund, denn die Lutherstadt Eisleben ist wegen der topografischen Verhältnisse vielfach von oben einsehbar. Neben der Definition der Schräge der Satteldächer, des Traufüberstands sowie der Form und Größe von Dachausbauten ist die Eindeckung festgelegt. Sie soll mit Tonziegeln als Biberschwanz, Falzziegel oder Pfanne erfolgen. Acht Farbtöne aus dem traditionellen Rotbereich stehen zur Auswahl, wobei Farbdifferenzierungen erwünscht ist. Selbst Fallrohre bleiben nicht unerwähnt: Sie sind farblich „der angrenzenden jeweiligen Gebäudefassade anzupassen, Kupfer- oder Zinkrohre können im Materialfarbton verbleiben“. Auch der Außenwerbung, oftmals wegen ihrer unsensiblen Anwendung störend, nimmt sich die Satzung ausführlich an. Dabei geht es um die Zusammenführung der Interessen von Handel und Wirtschaft mit denen der Stadtbildpflege. So setzt die Stadt auf die ortsbezogene Umsetzung von Außenwerbung in Dimension, Typografie, Materialität. Elemente des Corporate Designs mit meist plakativen Farbigkeiten, etwa von Handelsketten, sind von ihrem Flächenanteil auf ein Drittel der Gesamtwerbefläche begrenzt, Leuchtreklame darf nur blend- ®ei realisiert werden. Fahnen, Schaukästen und vertikale Schriftzüge erhalten keine Genehmigung. „Einzelbuchstaben, Beschriftungen (...) sind querliegend und parallel zur Fassade anzuordnen.“ Ihre Länge ist auf 60 Prozent der Fassade begrenzt, die Höhe richtet sich nach der jeweiligen Flächengliederung. Die detaillierte Aus– arbeitung der Farbigkeit vereinfacht die Umsetzung enorm – sämtliche Farben sind genau benannt. 5

ERHALTEN UND GESTALTEN